Die Skepsis gegenüber der Zielsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) war von Beginn an groß. Bund, Länder und Kommunen sollten bis Ende 2022 ein beachtliches Paket an Verwaltungsleistungen digital zur Verfügung stellen. Nach fünf Jahren Umsetzungsphase ist die Bilanz ernüchternd. Mit dem OZG-Änderungsgesetz (OZG 2.0) soll’s nun aber wirklich funktionieren.
„Vom Staat festgesetzte, rechtlich bindende Vorschrift“ – so definiert der Duden den Begriff „Gesetz“. Und so dürfte er auch im allgemeinen Verständnis verankert sein. Oder? Vermutlich. Wirft man einen Blick auf die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), stellt sich allerdings schnell die Frage, wie genau man es im öffentlichen Sektor so nimmt. Am Ende der fünfjährigen Umsetzungsphase ist das Urteil ernüchternd: Gerade einmal rund 18 Prozent der geplanten digitalen Verwaltungsleistungen standen Ende 2022 tatsächlich flächendeckend in Deutschland zur Verfügung.
1. Der Beginn des Onlinezugangsgesetzes: Vorteile der Digitalisierung im Fokus
2. Was das OZG im Detail fordert: Leistungen müssen tatsächlich genutzt werden
3. Umsetzung: Nicht jede Verwaltung muss alle Leistungen selbst digitalisieren
4. Status quo: Trotz OZG-Booster nur 23% des Ziels erreicht
5. Aufwind oder Aufschub: Mit dem OZG 2.0 bekommen Länder Hilfe von der Regierung
6. Fazit: Vertrauensverlust und Überforderung drohen
Der Beginn des Onlinezugangsgesetzes: Vorteile der Digitalisierung im Fokus
In vielen Bereichen des Lebens ist es zur Normalität geworden, digitale Dienste in Anspruch zu nehmen. Wollen wir unsere jüngste Shopping-Ausbeute retournieren, nutzen wir das Online-Formular; haben wir Fragen zu Produkten, stellen wir diese einem Chatbot; wollen wir kostenpflichtig parken, regeln wir das über eine App.
Was aber, wenn wir einen neuen Personalausweis beantragen wollen? Wenn wir eine Geburtsurkunde benötigen? Wenn wir Kindergeld beantragen wollen? Dann ist in weiten Teilen ein Behördengang nötig. Einen deutlichen Schritt Richtung Digitalisierung und eine Vereinfachung der Verwaltungsangelegenheiten sollte das Onlinezugangsgesetz bringen.
Bei der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2017 waren die Vorgaben für die Digitalisierungsstrategie klar: „Das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen […] verpflichtet daher Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten“, erklärte das Bundesministerium des Innern und für Heimat. Insgesamt 575 Leistungen und Vorgänge sollten online verfügbar gemacht werden. Ziel war die Digitalisierung der Verwaltungen für Bürger*innen und Unternehmen. Deutschland sollte damit im E-Government zu den führenden europäischen Ländern aufschließen.
Die OZG-Leistungen werden im Rahmen von zwei Digitalisierungsprogrammen umgesetzt. Im „Digitalisierungsprogramm Bund“ werden alle Leistungen mit Regelungs- und Vollzugskompetenz beim Bund in Verantwortung des Bundes digitalisiert. Die Leistungen mit Regelungs- und/oder Vollzugskompetenz bei den Bundesländern bzw. Kommunen werden im „Digitalisierungsprogramm Föderal“ digitalisiert.
Was das OZG im Detail fordert: Leistungen müssen tatsächlich genutzt werden
Die Verpflichtung von Bund und Ländern, ihre Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten, bildet das übergreifende Ziel des OZG. Darüber hinaus enthält das Gesetz aber auch Vorgaben zur genauen Umsetzung. Am Ende stehen vier Bausteine (Quelle: OZG-Leitfaden):
- Online-Services: alle Verwaltungsleistungen müssen digital bereitgestellt werden
- Portalverbund: Bund und Länder müssen ihre eigenen Portale zu einem Portalverbund verbinden
- Nutzerkonten: Nutzende müssen die Möglichkeit haben, sich übergreifend für alle Leistungen mit einem einzigen Nutzerkonto identifizieren zu können
- Standards: Der Bund darf Vorgaben für IT-Anwendungen, Basisdienste und Standards für Schnittstellen sowie Sicherheitsvorgaben machen
Man muss kein Profi sein, um zu erkennen, dass es nicht leicht werden würde, eine übergreifende Strategie zu finden, die allen beteiligten Verwaltungen die Umsetzung ermöglicht. Haben sich die Verantwortlichen für das Digitalisierungsmanagement ebenfalls gedacht. Daher haben Vertreter*innen von Bund, Ländern und Kommunen in Workshops ein gemeinsames Ziel und ein einheitliches Vorgehen zur Umsetzung entwickelt (Quelle: OZG-Leitfaden). Im Fokus standen dabei vor allem die Nutzenden. Denn sie sind es, die am Ende darüber entscheiden, ob die Umsetzung tatsächlich erfolgreich war. Nutzen sie die digitalen Leistungen nicht, hat der Prozess seinen Effekt verfehlt.
Um möglichst viele Nutzende zu erreichen, sollten die Prozesse nutzerfreundlich gestaltet sein. Doch ab wann die Anforderung „Nutzerfreundlichkeit“ erfüllt ist, regelt das OZG nicht. Dafür gibt’s den sogenannten „Servicestandard“. Dieser enthält Prinzipien, die zu erfüllen sind, um ein Angebot nutzerfreundlich zu gestalten. Dieser Standard wurde auf Empfehlung des Normenkontrollrates für die OZG-Leistungen abgestimmt. Der Servicestandard ist in 6 Kategorien eingeteilt (Quelle: OZG-Leitfaden):
- Nutzerzentrierung: Digitale Angebote sollen auf Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger fokussiert sein und dabei barrierefrei und intuitiv gestaltet werden. Neben Aspekten der Nutzungsfreundlichkeit, wie der einmaligen Dateneingabe (Once-Only), sind Datenschutz und Sicherheit von höchster Priorität. Gute digitale Angebote sollten bekannt gemacht werden, um die Nutzung zu erhöhen.
- Vorgehen: Digitale Angebote werden agil geplant und umgesetzt sowie kontinuierlich weiterentwickelt. Dabei sind sie zentral auffindbar und abrufbar.
- Zusammenarbeit: Die Ebenen übergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die Basis der Konzeption und Entwicklung digitaler Angebote. Zusammenschlüsse für Entwicklungsgemeinschaften werden proaktiv angestrebt, u.a. nach dem Modell „Einer für Alle“.
- Offenheit: Der Quellcode wird als Open Source zur Verfügung gestellt und offene Standards werden bei der Realisierung verwendet. Vor Neuentwicklungen werden Komponenten auf Wiederverwendbarkeit geprüft.
- Betrieb: Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Ausfallsicherheit sind integrale Bestandteile des Betriebs. Die Interoperabilität von Standards, Schnittstellen und Architektur wird gewährleistet.
- Wirkungscontrolling: Die Nutzerzufriedenheit und Nutzung werden kontinuierlich gemessen und veröffentlicht. Maßnahmen zur Verbesserung werden klar strukturiert ermittelt und umgesetzt.
Okay, Nutzerfreundlichkeit der digitalen Leistungen ist doch irgendwie geregelt. Aber ab wann ist eine Leistung tatsächlich „digital verfügbar“? Eine genaue Definition gibt das OZG nicht. Fakt ist: Der Nutzerfreundlichkeit zuträglich ist ein möglichst durchgängiger und einfacher Prozess.
Quelle: OZG-Leitfaden
Ein vollständig digitaler Prozess liegt vor, sobald Stufe 3 erreicht ist. Stufe 4 enthält lediglich die Erweiterung im Sinne des „Once-Only-Prinzips“. Beim Once-Only-Prinzip werden Daten der Nutzenden mit Einwilligung wiederverwendet, sofern sie für einen zukünftigen Prozess benötigt werden. So müssen die Nutzenden ihre Informationen nur einmalig preisgeben und werden nicht bei mehreren Prozessen jeweils nach denselben Daten gefragt.
Umsetzung: Nicht jede Verwaltung muss alle Leistungen selbst digitalisieren
Das OZG wird arbeitsteilig umgesetzt. Die Föderale IT-Kooperation (FITKO) und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) koordinieren gemeinsam das Digitalisierungsprogramm. Im Wesentlichen ist dabei die Aufteilung in einzelne Themenfelder zu beachten.
Ein Themenfeld wird federführend durch ein Bundesressort und ein Bundesland bearbeitet. Diese erhalten Unterstützung durch kommunale Partner und bei Bedarf durch weitere Länder. Außerdem steht ihnen ein Expert*innen-Team aus den Bereichen E-Government und User-Experience zur Verfügung.
Regelmäßiges Monitoring und Reporting ermöglichen Transparenz über den Fortschritt, erreichte Meilensteine und Ergebnisse aus den jeweiligen Konzeptphasen. Wird die vorgegebene Management-Strategie tatsächlich verfolgt, scheinen die Verwaltungen auf Organisationsebene nicht im Regen zu stehen. Und auch die Bearbeitung der einzelnen Themenfelder ist klar geregelt.
Quelle: OZG-Leitfaden
Gut, möchte man nun denken. Wenn jede Verwaltung für jede einzelne Leistung einen solchen Prozess durchlaufen muss, ist es kaum verwunderlich, dass die OZG-Umsetzung wenig erfolgreich ist. Ganz so einfach kann man es den Verantwortlichen allerdings nicht machen. Denn es muss keineswegs jede Verwaltung jede Dienstleistung in Eigenregie digitalisieren. Durch das sogenannte „Digitalisierungsprogramm Föderal“ ist geregelt, dass die Umsetzung des OZG aufgeteilt wird. So muss für jede digitalisierte Leistung sichergestellt werden, dass andere Bundesländer bzw. Kommunen diese Lösung nachnutzen können. Man arbeitet also gemeinsam möglichst effizient an der Umsetzung und vermeidet doppelten Aufwand.
Modelle zur Nachnutzung
- „Einer für Alle“
- „Nachnutzbare Software dezentral betrieben“
- „FIM-basierte Eigenentwicklung“
Ein wichtiges und zentrales Modell zur Nachnutzung ist das EfA-Prinzip („Einer für Alle“). Dabei wird eine Lösung von Beginn an so entwickelt, dass sie länderübergreifend einsetzbar ist. Die Entwicklung liegt bei einem Land oder erfolgt im Rahmen einer Kooperation mehrerer Länder. Die Lösungen können übergreifend für zahlreiche Kommunen, Länder oder auch bundesweit entwickelt und betrieben werden. Abgesehen von lokalen Anpassungen, ist die Lösung einheitlich nutzbar. So kann zum Beispiel die nötige Software und IT-Infrastruktur für einen Prozess bei einem externen Dienstleister betrieben und im Anschluss von allen Verwaltungen genutzt werden (SaaS: „Software-as-a-Service“). Bei dem EfA-Prinzip ist vor allem die technische und redaktionelle Weiterentwicklung mit wenig Aufwand möglich.
Efa-Prinzip
Gemeinsam wird die Digitalisierung in Deutschland leichter: Dank des EfA-Prinzips profitieren auch bei viind alle Städte und Regionen von Updates. Der viind-Chatbot nutzt unter anderem Wissensdatenbanken zur Beantwortung der Fragen. Werden diese erweitert und mit weiteren Inhalten gefüllt (z.B. zum Personalausweis, zum Kfz-Wesen oder zum Wohngeld), stehen die Inhalte allen nutzenden Verwaltungen zur Verfügung.
Status quo: Trotz OZG-Booster nur 23% des Ziels erreicht
Falls ihr auch heute, im Jahr 2023, eure Behördengänge noch analog erledigt, seid ihr damit wahrlich nicht allein. Zum Ende der Umsetzungsphase vor einem halben Jahr waren nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e.V. gerade einmal 105 Leistungen bundesweit digitalisiert (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft). Dabei hatte es Mitte 2022 nochmal einen „OZG-Booster“ gegeben. Dieser sollte bewirken, dass die umsetzenden Verwaltungen den Fokus temporär auf bestimmte Leistungen des OZG legen. So sollte zumindest ein Teilziel nach der fünfjährigen Umsetzungsfrist erreicht werden. Dazu hatten sich Bund und Länder auf eine begrenzte Anzahl von Verwaltungsleistungen verständigt, die bei der Umsetzung priorisiert werden sollten. Ebenfalls verfehlt.
Doch wie ist der tatsächliche Stand aktuell – fast 1 Jahr nach Ende der Umsetzungsfrist? 132 OZG-Leistungen sind flächendeckend bundesweit verfügbar (Stand: August 2023). Wenngleich die Zahl sich im ersten Moment zumindest nach „besser als nichts“ anhört, ist sie tatsächlich nicht viel mehr als das. Geplant waren 575 digitale Leistungen. Rund 23 % wurden demnach erreicht – fast 1 Jahr nach Ende der Umsetzungsfrist.
Quellen: Dashboard OZG (Stand: 13.09.2023) & Institut der deutschen Wirtschaft (Stand: 02.01.2023)
Ist Deutschland zu streng mit sich selbst? Der EU-Vergleich jedenfalls sagt etwas anderes. Bei den digitalen öffentlichen Diensten steht Deutschland in der EU immerhin nur auf Rang 18 (von 27) (Quelle: DESI).
Nun haben wir während der Krisen in den vergangenen Jahren eindrucksvoll erlebt, dass es auch in Deutschland kein Ding der Unmöglichkeit ist, digitale Prozesse schnell umzusetzen. So wurden unter anderem auf Bundesebene die Corona-Überbrückungshilfen online zugänglich gemacht und mit Beginn des Ukraine-Krieges das Hilfe-Portal „Germany4Ukraine“ aufgesetzt. Es geht also. Aber benötigen wir dafür wirklich erst Krisen, braucht es Notsituationen, um das Mögliche tatsächlich umzusetzen? Dr. Markus Richter, Staatssekretär im BMI und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik, fand in einem OZG-Rückblick im Dezember 2022 klare Worte: „Wenn es drauf ankommt, sind wir schnell handlungsfähig und sehen die Digitalisierung als den Weg zu schnellen Lösungen.“ Mal abwarten, wann es drauf ankommt…
Aufwind oder Aufschub: Mit dem OZG 2.0 bekommen Länder Hilfe von der Regierung
Das Auslaufen des Onlinezugangsgesetzes soll nicht die Endstation sein. Die Digitalisierung in Deutschlands Verwaltungen soll weitergehen. Um dem Prozess weiter voranzutreiben, hat die Bundesregierung am 24. Mai 2023 das OZG-Änderungsgesetz (OZG 2.0) als Weiterentwicklung des OZG beschlossen. Dieses sieht unter anderem vor, dass die Bundesregierung die Länder und Kommunen besonders bei der Umsetzung von 15 festgelegten Leistungen unterstützt, damit diese flächendeckend und vollständig digital angeboten werden können.
Eine Umsetzungsfrist für das OZG 2.0 gibt es nicht. Warum das so ist, erklärt Dr. Markus Richter in einem Interview (Quelle: BMI): „Das Gesetz sieht bereits eine Umsetzungsfrist vor: Das war der 31.12.2022. Seit diesem Tag sind alle Verwaltungseinheiten verpflichtet, ihre Services digital anzubieten. Es gibt keine schärfere Frist als die, die wir jetzt nach Gesetzeslage haben.“ Lediglich für die Ende-zu-Ende-Digitalisierung und die Digital-Only-Lösung ist eine Frist von 5 Jahren festgesetzt.
Für die Verwaltungen gilt also: Je schneller, desto besser. Am liebsten gestern. Oder letztes Jahr.
Vorschläge zur Besserung gibt’s vom Nationalen Normenkontrollrat. In seinem Jahresbericht 2022 führt dieser das Scheitern des OZG vor allem auf die Herausforderungen im Zusammenwirken der einzelnen Ebenen zurück. Darunter fallen unter anderem komplizierte Koordinierungsstrukturen, eine fehlende Standardisierung und mangelnde Verbindlichkeit.
Fazit: Vertrauensverlust und Überforderung drohen
Die Digitalisierung der Verwaltungen muss eine Trendumkehr erfahren. Vermutlich dringender als jemals zuvor. Laufen die Prozesse weiterhin in demselben Tempo, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Unmut über die mangelnde Motivation wachsen wird. Das Vertrauen in den Willen und die Handlungsfähigkeit von Verwaltungen und Politik, die Modernisierung voranzutreiben, wird sinken. Die Zahl der zu digitalisierenden Leistungen und die Anforderungen werden weiter steigen – Überforderung droht. Weiterhin werden im öffentlichen Sektor unnötig Personalressourcen gebunden, die verfügbar sein könnten für komplexe Anliegen und Aufgaben – und das in Zeiten des Fachkräftemangels.